Am Samstag, 18.1.25, lief ab 19 Uhr die Eröffnungsshow zur Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Als Ort wurde die Brückenstraße am Karl-Marx-Monument gewählt. In mir wuchs die Befürchtung, dass das so besondere Kulturhauptstadtprogramm als „Karl-Marx-Festspiele“ inszeniert wird.
Die Veranstaltung begann mit Bläserchören verteilt über die Gebäude der Straße. Sie erzeugten ein wunderbares Echo. Das fröhlich-spielerische Musikstück erinnerte in keiner Weise an die Aufmärsche, wozu diese Straße geschaffen wurde. Die Erwartung wuchs.
Die Bühne umhüllte den Karl-Marx-Kopf und die Bühnenbeleuchtung inszenierte ihn wie ein Idol aus Indiana Jones. Immerhin hat die Bühnenhöhe die riesige Büste vom Sockel genommen.
Die Spruchwand hinter dem Monument, mit dem Zitat „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ aus dem Kapital, blieb den ganzen Abend über im Dunkeln. Die leninistisch-stalinistische Inszenierung der mit Gewalt herbeizuführenden Weltrevolution, die so viele Tote und gebrochene Gesellschaften in die Welt brachte, blieb im Dunkeln. Ich dachte nur, das alles kann nicht einfach weggedunkelt werden – so verliert die eigentümliche Weihe dieser Stadt nicht an Kraft.
Da beginnt die Moderatorin des Abends, Anna Mateur, einen Traum zu erzählen, in welchen der Spruch hinter dem Monument aufgriffen wurde. Der Traum entwickelt sich zum Alptraum. Als sie erwacht, findet sie sich im Kulturhauptstadtjahr wieder. Was für eine interessante Idee, mit dem geschichtsträchtigen Ort umzugehen. Sie greift damit einerseits die Brucherfahrung auf, die Menschen 1989/90 machten, als wahr- und richtig Geglaubtes nicht mehr trug und manchmal auch das Gefühl des Betrogenseins aufkam. Andererseits sind auch die Erfahrungen der Opfer der Gewaltherrschaft abgeholt mit der Albtraum-Inszenierung.
Die gesamte Gebäudelänge hinter der Bühne war den ganzen Abend Teil der Lichtshow. Den Abschluss bildete ein breites Szenenbild zu DJ-Klängen, welches Chemnitz als europäische Stadt zeigt – und der „Nischel“ verblasst im Zukunftsblau.
Holger Bartsch