Am 17.10.1953, vor 70 Jahren, traten im Frauengefängnis Hoheneck in Stollberg über 1000 politisch inhaftierte Frauen in einen dreitägigen Hungerstreik. Sie forderten eine Überprüfung der willkürlichen und unrechtmäßigen Urteile, die sie ins Gefängnis gebracht hatten.
Den Teilnehmerinnen dieses Streiks und den tausenden anderen in Hoheneck gefangenen Frauen wurden bei einer Gedenkveranstaltung vor Ort gedacht.
Am Abend zuvor hatte es einen Empfang für 35 ehemalige Hoheneckerinnen und ihre Begleiter im Hauptquartiert der Kulturhauptstadt in der Schmidtbankpassage, Chemnitz gegeben. Es erklangen berührende musikalische Werke auf dem Saxofon (Roberto Griessbach) und dem Cello (Cellistin und Komponistin Emilia Viktoria Lomakova, Berlin).
Alexander Ochs, Kurator des „Purple Path“ erzählt davon, wie die ehemaligen Hoheneckerinnen aufgrund einer inneren (spirituellen) Stärke die Kraft zum Widerstand gefunden haben. Das habe ihr Überleben gesichert und dazu geführt, dass ihr Leben jetzt ein Vorbild für andere sein kann. Zudem seien Kultur und Kunst auch gut geeignet, schwierigen Erfahrungen und Gefühlen Ausdruck zu verleihen und damit erlebte Traumata zu verarbeiten.
Auch Konstanze Helber, einer der Gründerinnen des „Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e.V.“ kommt zu Wort und berichtet von der Geschichte Hohenecks als Gefängnis und den furchtbaren Haftbedingungen in dem „überbelegten Zuchthaus.“
„Schloss Hoheneck“, wie es zum Ärger vieler ehemaliger Inhaftierter genannt wird, war von 1864 bis 2001 ein Gefängnis und zu Zeiten der DDR das zentrale und größte Frauengefängnis.
„Seite an Seite“ steht auf dem Banner der Kulturhauptstadt, was hinter der Bühne hing. Genau dieses Motto spürte man auch bei den Erzählungen von Annemarie Krause, eine Zeitzeugin des Hungerstreiks. Sie berichtet, wie sie und ihre Kameradinnen zusammengehalten und sich gegenseitig unterstützt haben. Heimlich wurden Kleidung gestrickt und Geschenke gebastelt zur gegenseitig Ermutigung – wer erwischt wurde, bekam Postverbot und teilweise Einzelhaft und kalten und nassen Zellen. Annemarie Krause wurde mit 16 Jahren inhaftiert und nach 6 Jahren Haft entlassen. Dennoch sprüht sie mit ihren 92 Jahren vor ansteckender Lebensfreude. Sie habe damals „Kraft vom Herrn bekommen“, um die schwierige Zeit zu überstehen.
Künstlerin Bettina Hain und Kulturhauptstadtpfarrer Holger Bartsch haben in den vergangenen 1,5 Jahren viele Interviews mit ehemaligen Hoheneckerinnen geführt. Von Annemarie Krause ist dabei ein gemaltes Portrait von Bettina Hain entstanden. Holger Bartsch spricht von einer „Ehre für die Kulturhauptstadt“ und bedankt sich für die Einblick, die das eigene Leben bewusster und ein Stück weit mutiger werden lassen. Weitere Portraits sollen folgen, um den Frauen, die solches Unrecht erleben musste, ein Gesicht und eine Stimme zu geben.
Am Samstag fand eine ganztägige Gedenkveranstaltung vor Ort statt. Nach einem Gedenkgottesdienst in der St.-Jacobi-Kirche Stollberg mit Pfarrer Holger Bartsch, Pfarrer Mattias Müller (Stollberg) und dem Jubilatechor der Evangelischen Allianz Chemnitz folgten Grußworte von Alexander Ochs, Konstanze Helber und Dr. Nancy Aris, die Sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Prof. Dr. Stefan Appelius hielt einen Vortrag über den Hungerstreik. Er ist der Leiter des Projekts „Gedenkstätte Hoheneck“.
Interessierte konnten anschließend an einem Zellenrundgang teilnehmen. Es folgte eine Podiumsdiskussion mit Annemarie Krause und Schülern und Schülerinnen des Carl von Bach Gymnasiums Stollberg. Den Abschluss bildete eine Kranzniederlegung am Gedenkstein.
Man spürte, wie gerührt die Frauen waren, dass ihrer gedacht wurde – „Damit das Elend, dass Menschen anderen Menschen angetan haben, nicht vergessen wird.“, beschreibt Annemarie Krause ihre Hoffnung. Eine Tochter begleitete ihre Mutter zur Gedenkveranstaltung und teilt ähnliche Hoffnungen: „Neben allen Erinnerungen müssen wir es aber auch schaffen, daraus etwas für die Zukunft zu lernen und die Veränderung zu leben. Die nachfolgenden Generationen müssen sich auch von der schweren Bürde befreien dürfen.“
Fotos: Franziska Kurz