Seit Mitte Juni 2025 setzt das Kunstprojekt „Fürchtet euch nicht“ ein markantes Zeichen am Hauptbahnhof Chemnitz – ein Auftakt, der kaum übersehen werden kann: riesige, neongelbe Leuchtbuchstaben empfangen die Ankommenden mit einer der häufigsten und eindringlichsten biblischen Ermutigungen. Dieses Zitat, das bereits in der Zeit der friedlichen Revolution 1989 in Kirchenräumen als Leitspruch Hoffnung stiftete, wird nun in den öffentlichen Raum getragen – mit großer Sichtbarkeit und leuchtender Präsenz. Das Chemnitzer Künstlerduo DOPPELDENK, bestehend aus Andreas Glauch und Marcel Baer, hat mit dieser Intervention nicht nur ein atmosphärisch starkes, sondern auch historisch und gesellschaftlich vielschichtiges Statement geschaffen.
Die Wahl des Ortes ist dabei ebenso bedeutsam wie der Text selbst: Der Bahnhof als Ankunftsort, Schwelle zur Stadt und historischer Ort des Transits wird zur Bühne einer kollektiven Ermutigung. Die Leuchtlettern wirken dabei nicht wie dekorative Kunst, sondern wie ein Manifest: Sie rufen auf zur Haltung, zur Erinnerung, zur Verantwortung – und zur Hoffnung. In einer Stadt, die 2025 mit dem Titel der Kulturhauptstadt Europas auch ihr kulturelles Selbstverständnis neu verhandelt, ist diese Installation wie ein Signalfeuer: gegen Angst, für Offenheit.
DOPPELDENK gelingt es, mit der formalen Schlichtheit der typografischen Skulptur eine maximale Wirkung zu entfalten. Die Kraft liegt im Klartext. Gleichzeitig verweist das Projekt auf das Spannungsfeld, in dem sich Chemnitz – und viele andere ostdeutsche Städte – heute bewegt: zwischen der Erinnerung an Umbruch, der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rissen und dem Versuch, über kulturelle Teilhabe neue Formen der Begegnung zu schaffen. Dass das Projekt Teil des Programms „HALLENKUNST“ ist, unterstreicht diesen offenen, diskursiven Charakter: Es geht hier nicht um abgeschlossene Werke in musealen Räumen, sondern um die künstlerische Aneignung des öffentlichen Raums, um temporäre, aber prägende Impulse.
„Fürchtet euch nicht“ ist dabei kein nostalgischer Rückgriff, sondern eine Einladung zur Gegenwart: sich mit Vergangenheit auseinanderzusetzen, über Widersprüche zu sprechen, sich trotz Unsicherheiten zu begegnen. Die Leuchtbuchstaben sind keine Lösung, aber ein kraftvoller Anfang. In ihrer Klarheit und Direktheit berühren sie die Passant:innen – ob bewusst oder beiläufig – und machen aus einem Ort des Kommens einen Ort des Innehaltens.
So steht diese Arbeit beispielhaft für das, was Kunst im öffentlichen Raum leisten kann: Sie markiert nicht nur, sie bewegt. Sie behauptet nicht, sondern öffnet. Und sie erinnert: an das Potenzial der Menschen, sich gegen Angst und für Veränderung zu entscheiden. Doppeldenk hat mit „Fürchtet euch nicht“ ein still leuchtendes, aber unübersehbares Kapitel zur Kulturhauptstadt Chemnitz aufgeschlagen – eines, das weit über das Stadtbild hinausstrahlt.

Wer mit diesem Eindruck vom Bahnhof Richtung Zentralhaltestelle läuft, erblickt auf Höhe des Technischen Rathauses eine Skulptur von Michael Morgner, die den aufrechten Gang des Menschen heraus aus der Furcht thematisiert. Beide Botschaften verweben sich dann mit dem Blick auf die Jugendkirche St.Johannis, dem SMAC und der Ausstellung zur Chemnitzer Mikwe zu einem vielen unbekannten Blick auf dieStadt. Nach rechts geschaut und zur Brückenstraße reingelaufen begegnet man der eher erwarteten sozialistischen Kunst mit dem Lobgedicht des Revolutionärs. Drum herum sind Stühle. Wer setzt sich hin und spricht über seine Gedanken? Wir kommen aus verschiedenen Hintergründen und mehr oder weniger nicht selbst gewählten Gegensätzen. Die Stühle – und nicht nur sie, sondern Chemnitz überhaupt – sind eine Einladung zur Begegnung.
Die Ausstellung „HALLENKUNST“, bei der unter anderem auch die beiden Künstler vertreten sind, ist vom 28.08.-21.09.2025 in der Markthalle Chemnitz zu sehen.
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