Die Treuhand und die Reprivatisierung der 1972 verstaatlichten Unternehmen
- Werner Weißbach (Gebr. Weißbach Anlagen und Kesselbau, ab 1972 VEB Wärmetechnische Anlagen)
- Stefan Lindner (Armaturenfabrik “Lindner & Co. Rabenstein”, ab 1972 VEB Armaturenwerk Karl-Marx-Stadt)
Das Auslöschen von Unternehmertum und Eigeninitiative war das Ziel der SED seit Gründung der DDR und fand ihren Höhepunkt in der Enteignungskampagne vom März 1972.
Im damaligen Stadtgebiet sind 250 Familienunternehmen, darunter 11 PGHs (Produktionsgenossenschaften des Handels), liquidiert und als VEB (Volkseigene Betriebe) unter staatlicher Lenkung fortgeführt worden. Investitionen in solche Betriebe waren sehr selten, was gravierende Folgen für die Zeit der Reprivatisierung hatte.
Grundlage unseres Abends sind Interviews aus dem Projekt Oral History, welches von 1991 bis 1992 durchgeführt wurde und im Industriemuseum archiviert ist. Es enthält über 50 Tonaufnahmen von Zeitzeugen zur Wirtschaftsgeschichte der DDR. Darunter sind zehn Unternehmerfamilien, die 1972 eine Enteignung erfahren haben und zum Teil als Direktoren eingesetzt wurden.
In diesen Berichten der Zeitzeugen haben wir erfahren, dass die Enteignung 1972 kein biografischer Abschluss mit dem Thema Unternehmertum war, sondern als ein Ringen um den Bestand des Betriebes und seiner Fachkompetenzen weiterging. Ab 1990 hatte diese Geschichte spezifische Folgen für die Behandlung durch die Treuhand. Diesen Zusammenhang wollen wir beleuchten.
PROGRAMM:
Grußworte:
– Pfarrer Holger Bartsch (Arbeitsstelle Kulturhauptstadt beim KBZ Chemnitz)
– Jürgen Kabus (Leiter Industriemuseum Chemnitz)
Historische Einführung
– Dr. Rainer Karlsch (Wirtschaftshistoriker, Autor des Buches „Familienunternehmen in Ostdeutschland. Niedergang und Neuanfang von 1945 bis heute“, Mitteldeutscher Verlag 2023)
Vorstellung der Interviews des Projekts „Oral History“
– Werner Weißbach
– Stefan Lindner
Podiumsgespräch mit mit Dr. Rainer Karlsch, Dr. Sebastian Liebold, Jürgen Kabus und Vertretern von Firmen, die im Oral History-Projekt repräsentiert sind.
Zum Projekt „Unternehmerbiografien 1972“
Unternehmerbiografien 1972 versteht sich als ein Projekt zur Begleitung der Programmlinien „eastern state of mind“ und „makers²“ der Europäischen Kulturhauptstadtregion Chemnitz 2025.
Mit einer Veranstaltungsreihe zeichnen wir anhand von einzelnen 1972 aufgelösten Betrieben ein lebendiges Bild der unterdrückerischen Behandlung der kleinen Unternehmer. Es treten Motive, Argumente, erschütternde Schicksale, Unrecht (selbst gemäß Recht der DDR) einerseits und Propaganda sowie ideologische Strategien gegen eine bürgerlich engagierte Mittelschicht andererseits ans Licht. Ein verlustreicher Einschnitt in die ostdeutsche Gesellschaft wird öffentlich erzählt.
Dabei bleiben wir jedoch nicht stehen, sondern würdigen den mühsamen und mutigen Neuanfang in der Zeit der Marktwirtschaft ab 1990, der zu einem neuen industriellen Mittelstand in der Europäischen Kulturhauptstadtregion beitrug.
Unsere Erinnerungsarbeit soll schöpferische Vorbilder aufdecken und unternehmerische Initiative anregen. Wir wollen dem Maker-Narrativ der Kulturhauptstadtbewerbung Tiefe und Reichweite geben.